Impfschaden: Sozialrechtliche Entschädigung
In den allermeisten Fällen verlaufen Impfungen völlig problem- und komplikationslos. Treten aber nach einer Impfung Komplikationen auf, sind diese häufig schwerwiegend und langanhaltend. Dann stellt sich die Frage, ob - und gegen wen - der Geschädigte einen Anspruch auf Entschädigung zur Kompensation des eingetretenen Schadens hat. Denkbar sind in aller Regel zwei Anspruchsverpflichtete: Der impfende Arzt und der Staat, der in bestimmten Fällen soziale Entschädigung für Gesundheitsschäden zu leisten hat. Der Arzt haftet auf Schadensersatz - vereinfacht dargestellt - dann, wenn er schuldhaft eine Pflicht aus dem Behandlungsverhältnis mit dem Patienten verletzt hat, was in aller Regel einen Aufklärungsfehler oder Behandlungsfehler voraussetzt; mehr zur Arzthaftung finden Sie hier. Der Staat hat Impfschäden unter bestimmten Voraussetzungen zu entschädigen. Die sozialrechtliche Impfschadensentschädigung fristete lange Jahre ein Schattendasein, hat aber seit der Corona-Pandemie und der Vielzahl der durchgeführten Impfungen in jüngerer Zeit enorm an praktischer Bedeutung gewonnen.
Rechtslage ab 1.1.2024 - SGB XIV
Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch – Soziale Entschädigung (SGB XIV). Im SGB XIV sind die bislang in verschiedenen Gesetzen normierten Entschädigungsfälle, also Gewalttaten (OEG), nachträgliche Kriegsauswirkungen der beiden Weltkriege (BVG), Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes (ZDG) sowie Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), in einem Gesetz zusammengefasst worden.
Die Regelungen für Impfschäden finden sich in § 24 SGB XIV.
Rechtslage bis 31.12.2023 - IfSG
Bis zum Ende des Jahres 2023 war die sozialrechtliche Impfschadensentschädigung im IfSG geregelt.
Anspruchsvoraussetzungen
Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die
1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a. gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung vorgenommen wurde,
2. auf Grund des IfSG angeordnet wurde,
3. gesetzlich vorgeschrieben war oder
4. auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens oder bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt (§ 60 Abs. 1 S. 1 IfSG).
Als gesundheitliche Folge einer Schutzimpfung wurden in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung z.B. festgestellt:
- Hirnschaden mit Störungen des Bewegungsvermögens und der geistigen Entwicklung sowie Anfallsleiden als Folge einer Poliomyelitisschutzimpfung (LSG Brandenburg, 16.03.2016, Az. L 13 VJ 59/14 WA),
- Anfallsleiden mit Entwicklungsretardierung (Dravet-Syndrom) als Folge einer6-fach-Impfung gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Hib, Hepatitis B und Polio (LSG Bayern, 15.12.2015, Az. L 15 VJ 4/12),
- West-Syndrom (BNS-Anfallleiden) als Folge einer Impfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Hib, Hepatitis B, Polyomyelitis (SG München, 03.12.2015, Az. S 9 VJ 2/06),
- Lähmung der Beine als Folge einer Impfung gegen Pocken (SG Duisburg, 08.07.2015, Az. S 51 VJ 41/11),
- Postvakzinale Enzephalopathie oder Enzephalitis bzw. eine entsprechende entzündliche ZNS-Reaktion als Folge von Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilusinfluenza b (Hb), Hepatitis B und Poliomyelitis sowie gegen Masern, Mumps und Röteln (LSG Niedersachsen-Bremen, 30.05.2013, Az. L 10 VJ 1/09),
- akuter Autoimmunhepatitisschub und als mittelbare Schädigungsfolge ein diabetes mellitus einer Hepatitis A- und B-Impfung (SG Kassel, 24.09.2012, Az. S 6 VJ 24/06),
- zerebrale Anfallsleiden als Folge von Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae b und gegen Kinderlähmung (LSG Saarland, 27.05.2008, Az. L 5 VJ 10/04),
- Epilepsie als Folge einer Pertussis-Impfung (LSG Berlin-Brandenburg, 29.08.2006, Az. L 13 VJ 46/03),
- Epilepsie als Folge einer Impfung gegen Poliomyelitis (LSG Baden-Württemberg, 21.06.2006, Az. L 8 VJ 847/04),
- Encephalitis als Folge einer Impfung gegen Influenza (LSG Saarland, 13.12.2005, Az. L 5 VJ 1/02; 30.03.2004, Az. L 5 VJ 8/03),
- epileptisches Anfallsleiden mit erheblicher geistiger sowie motorischer Behinderung als Folge einer Poliomyelitisschutzimpfung (LSG Thüringen, 20.03.2003, Az. L 5 VJ 624/01).
Unter Schutzimpfung ist die Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen, zu verstehen. Unter andere Maßnahme der Prophylaxe ist die Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) oder die Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten zu verstehen. Eine Impfempfehlung (Nr. 1) kann sich nicht nur auf die Krankheit selbst beziehen, sondern auch auf die Art und Weise der Impfung, also etwa den Impfstoff oder die Darreichungsform. Einer öffentlichen Empfehlung der Impfung ist, aus Gründen des Vertrauensschutzes, nach der Rechtsprechung der Sozialgerichts auch der Rechtsschein einer solchen Empfehlung unter bestimmten Voraussetzungen gleichzusetzen. Liegen die Voraussetzungen für eine solche “Rechtsscheinhaftung” vor, ist die Impfung rechtlich entsprechend § 60 Abs. 1 IfSG so zu behandeln, als ob sie öffentlich empfohlen worden wäre, kann also einen Entschädigungsanspruch auslösen.
Der Begriff des Impfschadens meint die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (“Impfkomplikation”) durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde. Der eingetretene Schaden muss - was in der Praxis häufig ein Streitpunkt ist - mit “Wahrscheinlichkeit” auf die stattgefundene Schutzimpfung bzw. Prophylaxemaßnahme zurückzuführen sein, d.h. es muss mehr für einen Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Schaden bzw. Schädigungsfolge als gegen einen Zusammenhang; die bloße Möglichkeit reicht nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung zum Impfschadensrecht hingegen nicht aus.
Entschädigungsleistungen
Liegt ein Impfschaden vor, kommen als staatliche - soziale - Entschädigungsleistungen beispielsweise in Betracht:
- Heilbehandlung und Krankenbehandlung,
- Beschädigtenrente (Grundrente) ab einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30,
- Ausgleichsrente,
- Berufsschadensausgleich,
- Pflegezulage,
- Bestattungsgeld und Sterbegeld,
- Hinterbliebenenrente.
Die Grundrente beträgt - abhängig vom individuellen GdS - € 127 bis € 668 monatlich. Hinzukommen können verschieden Zulagen, z.B. für für Schwerbeschädigte (GdS von wenigstens 50), die das 65. Lebensjahr vollendet haben, in Höhe von € 26 bis € 39 monatlich oder für Beschädigte mit einem GdS von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich aussergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage in sechs Stufen von € 77 in Stufe I bis € 476 in Stufe VI. Schwerbeschädigte erhalten auch für den Ehegatten oder Lebenspartner einen Zuschlag von € 74 monatlich.
Rentenberechtigte Beschädigte, also Personen mit einem GdS von mindestens 30, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 % des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes oder, falls dies günstiger ist oder der Antrag erstmals nach dem 21.12.2007 gestellt wurde, einen Berufsschadensausgleich in Höhe des Nettobetrags des Vergleicheinkommens abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit, der Ausgleichsrente und des Ehegattenzuschlages. Die Einzelheiten der Ermittlung des Berufsschadensausgleichs regelt die Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV).
Schwerbeschädigte erhalten eine um das anzurechnende Einkommen gekürzte Ausgleichsrente, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustands oder hohen Alters oder aus einem von ihnen nicht zu vertretenden sonstigen Grund eine ihnen zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur in beschränktem Umfang oder nur mit überdurchschnittlichem Kräfteaufwand ausüben können in Höhe von bis zu € 668 monatlich.
Rechtsschutz
Wird ein Antrag auf Impfschadensentschädigung abgelehnt, etwa, weil verneint wird, dass überhaupt ein Impfschaden vorliegt, kann gegen die Ablehnung zunächst Widerspruch erhoben werden. Bleibt auch der Widerspruch erfolglos, kann der Entschädigungsanspruch durch Klage vor dem Sozialgericht durchgesetzt werden.
Für Ihre Fragen stehe ich Ihnen als Fachanwalt für Sozialrecht gerne zur Verfügung.