Rechtsanwalt, Fachanwalt für Sozialrecht, Fachanwalt für Strafrecht Mathias Klose, Yorckstr. 22, 93049 Regensburg

Das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren

Das sozialrechtliche Verfahren beginnt mit dem Verwaltungsverfahren. Die Rechtsgrundlagen des Sozialverwaltungsverfahrens ergeben sich im Wesentlichen aus dem SGB I (Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil) und dem SGB X (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz). Das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren ist die nach aussen wirkende Tätigkeit der Behörden, z.B. Rentenversicherung, Krankenkasse, Berufsgenossenschaft oder Jobcenter, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes (Bescheid) oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein.

Beispiele aus den einzelnen Teilgebieten des Sozialrechts:

  • Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall oder einer Krankheit als Berufskrankheit (Gesetzliche Unfallversicherung)
  • Bewilligung von Arbeitslosengeld I, Eingliederungszuschuss, Gründungszuschuss, Insolvenzgeld oder einer Umschulung (Arbeitsförderung)
  • Bewilligung, Absenkung oder Aufhebung von Grundsicherungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Beschäftigungszuschuss (Grundsicherung für Arbeitsuchende)
  • Einstellung der Krankengeldzahlung durch die Krankenkasse (Gesetzliche Krankenversicherung)
  • Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status als Beschäftigter (Sozialversicherung)
  • Ablehnung eines Rentenantrags (Rentenversicherung)
  • Einstufung in eine Pflegestufe (Pflegeversicherung)
  • Feststellung eines Grads der Behinderung (Teilhabe behinderter Menschen)

Ein Beteiligter kann sich im Sozialverwaltungsverfahren, wie im gesamten sozialrechtlichen Verfahren, durch einen Bevollmächtigten, insbesondere einen Rechtsanwalt, vertreten lassen. Ist für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt, muss sich die Behörde an ihn wenden. Ein Beteiligter kann zu Verhandlungen und Besprechungen mit einem Beistand erscheinen.

Die Amtssprache ist deutsch. Hörbehinderte Menschen haben das Recht, zur Verständigung in der Amtssprache Gebärdensprache zu verwenden; Aufwendungen für Dolmetscher sind von der Behörde oder dem für die Sozialleistung zuständigen Leistungsträger zu tragen. Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen (Untersuchungsgrundsatz). Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äussern (Anhörung gem. § 24 SGB X).

Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Bescheid ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Erlässt die Behörde einen schriftlichen Bescheid oder bestätigt sie schriftlich einen Bescheid, ist der durch ihn beschwerte Beteiligte über den Rechtsbehelf und die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz, die einzuhaltende Frist und die Form schriftlich zu belehren (Rechtsbehelfsbelehrung).

Der statthafte Rechtsbehelf gegen einen Bescheid (Verwaltungsakt) ist in aller Regel der Widerspruch. Mehr zum Widerspruchsverfahren erfahren Sie hier.

Bleibt auch der Widerspruch erfolglos, kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids Klage zum Sozialgericht erhoben werden.

Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Bescheids ist von besonderer Bedeutung, da sich Widerspruchs- bzw. Klagefrist von diesem Zeitpunkt an berechnen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Wird etwa ein Arbeitslosengeldbescheid von der Agentur für Arbeit am 10.10.2009 zur Post aufgegeben, gilt er - auch wenn er bereits am nächsten Tag seinen Empfänger erreicht, erst am 13.10.2009 als bekannt gegeben. Erst ab diesem Tag laufen dann die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfristen. Diese 3-Tages-Zugangsfiktion gilt aber nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, die Behörde trägt also die Beweislast für den Zugang eines Bescheids.

Da “das Recht des Sozialgesetzbuchs” insbesondere zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfen gestalten soll, gelten verfahrensrechtliche Besonderheiten, die sich in anderen Rechtsgebieten nicht finden.

Die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären (Aufklärung). Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind (Beratung). Die zuständigen Stellen, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung sind verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten nach dem SGB Auskünfte zu erteilen. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftsuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist (Auskunft).

Verletzt ein Sozialleistungsträger pflichtwidrig seine Beratungspflicht oder Auskunftspflicht, weist sie etwa nicht auf die Erforderlichkeit eines Antrags oder die Möglichkeit anderer, effektiver Rechtsausübung hin, und entsteht dem Bürger dadurch ein Schaden, kann der Betroffene gegen die Behörde einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch haben, durch den er so zu stellen ist, als hätte sich die Behörde von Anfang an rechtmäßig verhalten.

Aufgrund der großen - oft existenziellen - Bedeutung von Sozialleistungen für den Betroffenen kann der zuständige Leistungsträger einen Vorschuss zahlen, deren Höhe er nach pflichtgemäßen Ermessen bestimmt. Er hat einen Vorschuss zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt, auch wenn zur Feststellung der genauen Anspruchshöhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich.

Auf Ansprüche auf Sozialleistungen kann jederzeit durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger wieder verzichtet werden; der Verzicht kann dann jederzeit wieder mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Die Verjährung wird aber insbesondere durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt. Ansprüche auf Geldleistungen können übertragen und verpfändet werden zur Erfüllung oder zur Sicherung von Ansprüchen auf Rückzahlung von Darlehen und auf Erstattung von Aufwendungen, die im Vorgriff auf fällig gewordene Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben oder gemacht worden sind oder, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass die Übertragung oder Verpfändung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt. Ansprüche auf laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, können in anderen Fällen übertragen und verpfändet werden, soweit sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen. Wird eine Geldleistung auf das Konto des Berechtigten bei einem Kreditinstitut überwiesen, ist die Forderung, die durch die Gutschrift entsteht, für die Dauer von 14 Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar.

Für den Sozialleistungsempfänger bestehen aber auch weitgehende Mitwirkungspflichten (§§ 60 ff. SGB I).

Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Gegebenenfalls sind Vordrucke zu verwenden. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers zur mündlichen Erörterung des Antrags oder zur Vornahme anderer für die Entscheidung über die Leistung notwendiger Maßnahmen persönlich erscheinen. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind. Wer wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustands herbeiführen oder eine Verschlechterung verhindern wird. Wer wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, anerkannten Schädigungsfolgen oder wegen Arbeitslosigkeit Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben teilnehmen, wenn bei angemessener Berücksichtigung seiner beruflichen Neigung und seiner Leistungsfähigkeit zu erwarten ist, dass sie seine Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit auf Dauer fördern oder erhalten werden.

Die Mitwirkungspflichten bestehen ausnahmsweise nicht, soweit ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Behandlungen und Untersuchungen, bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, können abgelehnt werden.

Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen (§§ 66 SGB I). soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung jedoch nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich und ordnungsgemäß hingewiesen worden ist (Rechtsfolgenbelehrung) und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Wird die Mitwirkung nachgeholt und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor, kann der Leistungsträger Sozialleistungen, die er versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen.

Gegen die Entscheidung über die Versagung oder Entziehung von Sozialleistungen gem. § 66 SGB I ist - wie in aller Regel im Sozialrecht - der Widerspruch möglich. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, kann Klage erhoben werden.

 

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