"Nehmen Sie die Klage zurück?" - Nein!
Im medizinisch geprägten Sozialrecht, z.B. im Unfallversicherungs-, Renten- oder - wie hier - im Schwerbehindertenrecht, sind ärztliche Sachverständigengutachten oft verfahrensentscheidend. Zusätzlich zu den jeweiligen juristischen Voraussetzungen lässt sich nur mit einem oder mehreren medizinischen Gutachten feststellen, ob der Kläger etwa erwerbsgemindert ist, an den Folgen eines Arbeitsunfalls leidet oder (schwer-) behindert ist. Holt das Sozialgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten ein und verneint dieses im Ergebnis die Erwerbsminderung, die Unfallfolgen, die (Schwer-) Behinderung, etc., fragt das Gericht beim Kläger meist direkt an: "Nehmen Sie die Klage zurück?".
Für die Kläger ist schon das Gutachtensergebnis häufig ein Schlag in's Gericht. Eine solche zusätzliche Anfrage des Gerichts tut dann sein Übriges. Manchmal ist es leider tatsächlich so, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat und eine Klagerücknahme in Erwägung gezogen werden sollte. Allerdings keinefalls immer. So auch in einem aktuellen Sozialgerichtsprozess vor dem Sozialgericht München, in dem es um die Höhe des Grads der Behinderung (GdB) ging.
Unser Mandant, der an vielen Erkrankungen leidet (u.a. Chronic Fatigue Syndrome (CFS), Trigeminusneuralgie und Scherzstörung), begehrte die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50. Das für die Feststellung zuständige ZBFS sah hingegen nur einen Gesamt-GdB von 40. Auch nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens blieb der GdB bei lediglich 40. Dementsprechend landete der Rechtsstreit vor dem zuständigen Sozialgericht, dem SG München (Aktenzeichen S 52 SB 958/20).
Das Sozialgericht holte ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten ein. Dieses bestätigte die Auffassung des Versorgungsamts mit einem GdB von 40. Es kam dann auch die übliche Frage des Gerichts: "Nehmen Sie die Klage zurück?". Die Frage wurde unsererseits jedoch höflich verneint.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.10.2023 legten wird vielmehr ein sehr aktuelles ärztliches Sachverständigengutachten aus einem anderen Sozialgerichtsprozess vor. Dieses zeichnete ein anderes Bild unseres Mandanten, stellte dessen Gesundheitszustand deutlich schlechter dar. Den Folgerungen des neuen Gutachtens schloss sich in der mündlichen Verhandlung dann erfreulicherweise auch die Vertreterin des ZBFS an, so dass wir das Ziel unseres Mandanten, den GdB von 50, erreichen konnten.
Statt einer Klagerücknahme endete das Verfahren durch einen Vergleich: "I. Der Beklagte erklärt sich bereit, ab dem 20.09.23 einen GdB vom 50 festzustellen. [...]".