Formulierungsbeispiel: Klagebegründung im SGB VII
Formulierungsbeispiel von Rechtsanwalt Mathias Klose für eine Klagebegründung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung (SGB VII) auf Zahlung einer Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei dem folgenden Schriftsatz um ein Muster handelt, das auf einen Einzelfall bezogen war und nicht unbesehen auf weitere Fälle übertragbar und anwendbar ist.
An das
Sozialgericht Regensburg
Safferlingstr. 23
93053 Regensburg
Az.: S 5 U 258/20
In dem Rechtsstreit
Herr ...
./.
BG ETEM
führen wir nachfolgend zur Begründung der bereits mit gesonderter Post erhobenen Klage aus und beantragen:
I. Der Bescheid der Beklagten vom 14.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.08.2020 wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 09.12.2018 beim Kläger Schwindel, Gangstörungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schmerzen in Schulter und Arm bestehen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v.H. zu gewähren.
Begründung:
Die Beteiligten streiten über die sich aus einem Arbeitsunfall vom 09.12.2018 ergebenden Ansprüche.
I.
Unstreitig erlitt der Kläger am 09.12.2018 einen Arbeitsunfall, konkret einen Wegeunfall i.S.v. § 8 II SGB VII. Der Kläger erlitt dabei u.a. eine HWS-Distorsion mit Kopfschmerzen, Verspannung der gesamten HWS, Schmerzen in der Schulter und im Arm sowie eine Schädelprellung. Streitig sind jedoch die daraus resultierenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus ergebenden Ansprüche des Klägers über den 31.03.2019 hinaus.
Mit Bescheid vom 14.05.2020 lehnte die Beklagte es ab, den Kläger über den 31.03.2011 zu entschädigen, da die danach bestehenden Gesundheitsschäden des Klägers nicht mehr Folge des Arbeitsunfalls vom 09.12.2018 seien. Nach dem nervenärztlichen Zusammenhangsgutachten des Dr. D vom 23.02.2019 erlitt der Kläger bei dem Versicherungsfall vom 09.12.2018 eine HWS-Distorsion bei wahrscheinlich leicht nach rechts gedrehtem Kopf, wodurch es zu einer entsprechenden Muskelzerrung im Bereich der HWS-Muskulatur gekommen sei. Läsionen der knöchernen und der Nervenstrukturen der HWS könnten durch bildgebende oder elektrophysiologische Verfahren ausgeschlossen werden. Wegen der erlittenen HWS-Distorsion sei nach Einschätzung von Dr. D Arbeitsunfähigkeit bis 02.01.2019 und Behandlungsbedürftigkeit bis 31.03.2019 anzunehmen. Für die längerfristige Symptomatik und die später neu hinzugetretenen Schwindelphänomene seien unfallunabhängige Ursachen anzunehmen. Es handele sich um gleichgelagerte Schmerzen bzw. Symptome wie sie bereits 2006 von Dr. L festgestellt worden seien. Auch spreche der Krankheitsverlauf gegen eine unfallbedingte Entstehung.
Dagegen wurde Widerspruch erhoben. Der Widerspruch wurde im Wesentlichen damit begründet, dass – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten und mit dem Erstgutachten des Dr. med. S vom 23.08.2019 (Bl. 247 ff. d.A.) – auch die über den 31.03.2019 hinaus bestehenden Gesundheitsschäden des Klägers (Schwindel, Gangstörungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schmerzen in Schulter und Arm) Folge des streitgegenständlichen Versicherungsfalls seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2020 wurde der Widerspruch zurück gewiesen, der Ausgangsbescheid sei nicht zu beanstanden.
Dagegen richtet sich die Klage.
II.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 SGG). Er ist daher aufzuheben. Es ist festzustellen, dass Schwindel, Gangstörungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schmerzen in Schulter und Arm des Klägers Unfallfolgen darstellen und dem Kläger sind Leistungen nach dem SGB VII auch über den 31.03.2019 hinaus zu gewähren, insbesondere eine Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 v.H..
Aufgabe der Unfallversicherung ist es, nach Maßgabe des SGB VII nach Eintritt von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederherzustellen und sie oder ihre Hinterbliebenen
durch Geldleistungen zu entschädigen (§ 1 Nr. 2 SGB VII). Hier ist ein Arbeitsunfall (§ 8 II SGB VII) gegeben, so dass die Eintrittspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich zu bejahen ist.
1.
Für die beim Kläger vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist der Arbeitsunfall vom 09.12.2018 – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – auch haftungsausfüllend kausal, jedenfalls aber kann die haftungsausfüllende Kausalität hier mit der nach ständiger Rechtsprechung erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit werden, d.h. es spricht mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang zwischen eingetretenem Schaden und Arbeitsunfall. Die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsschäden Schwindel, Gangstörungen, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schmerzen in Schulter und Arm des Klägers sind Folgen der bei dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall – wohl unstreitig – erlittenen HWS-Distorsion.
Vorab ist anzumerken, dass die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die Schwindelsymptomatik sei erst im Jahre 2020 neu hinzugetreten, unrichtig sind. Der Kläger beklagt diese Symptomatik bereits seit dem verfahrensgegenständlichen Arbeitsunfall, nicht erst seit dem Jahr 2020. Auch dass eine gleich gelagerte Symptomatik bzw. ein gleich gelagertes Beschwerdebild schon 2006 festgestellt worden sei, wird mit Nachdruck bestritten. Vor dem Arbeitsunfall vom 09.12.2018 lagen bei dem Kläger keine psychiatrischen, psychosomatischen oder psychologischen krankheitswertigen Auffälligkeiten vor, die durch den Unfall aktiviert oder intensiviert worden sein könnten. Eine
entsprechende Schadensanlage, die der haftungsausfüllenden Kausalität entgegen stehen könnte, ist daher ebenso zu verneinen wie ein Vorschaden. Im Übrigen wäre, wenn – entgegen hiesigem Dafürhalten – ein Vorschaden beim Kläger vorliegen würde, zu prüfen, inwieweit es zu einer grundsätzlich zu entschädigenden unfallbedingten Verschlimmerung gekommen ist.
Mit Dr. med. S ist vor diesem Hintergrund aber nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdesymptomatik unfallunabhängig wäre.
Die Beeinträchtigungen, welche der Kläger schildert, sind plausibel, glaubhaft und nicht unüblich nach vergleichbaren Unfällen, und zwar auch noch Monate, manchmal gar Jahre, nach dem Unfallereignis.
Es wird insoweit angeregt,
ergänzende Stellungnahmen der behandelnden Ärzte einzuholen sowie
ein medizinisches Sachverständigengutachten – insbesondere auf nervenärztlichem Fachgebiet – einzuholen.
Die Beantragung eines Gutachtens gem. § 109 SGG bleibt vorbehalten.
2.
Es ist dementsprechend weiterhin und noch heute vom Vorliegen unfallbedingter Schäden und daraus resultierend einer unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers auszugehen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 II 1 SGB VII). Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden (§ 56 II 2 SGB VII). Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (§ 56 II 3 SGB VII).
Legt man diese Grundsätze bei der Beurteilung des Klägers zugrunde, gelangt man zwingend zu dem Schluss, dass unfallbedingt eine MdE von wenigstens 20 v.H. über den 31.03.2011 und nach wie vor gegeben ist.
Es wird insoweit angeregt,
ergänzende Stellungnahmen der behandelnden Ärzte einzuholen sowie
ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beantragung eines Gutachtens gem. § 109 SGG bleibt vorbehalten.
Die dem dagegen sprechenden Gutachten des Dr. D folgende Argumentation, verfängt nicht. Ansatzpunkte, warum das zeitnäher erstattete Erstgutachten nicht überzeugen soll, werden schon nicht geliefert. Die Behauptung der Beklagten, Dr. D berücksichtige die allgemein anerkannte Gutachterliteratur, lässt zum einen darauf schließen, dass dies beim Erstgutachten des Dr. S nicht der Fall gewesen sein soll; dann hätte es sich aber zunächst zwingend aufgedrängt, vom Gutachter ein Verzeichnis der verwendeten Literatur anzufordern, welches sicherlich (ebenfalls) die Berücksichtigung der gängigen und anerkannten Gutachterliteratur belegt haben würde. Zum anderen kann auch dem Zweitgutachten des Dr. D nicht entnommen werden, welche Literatur bei der Gutachtenserstattung zu Rate gezogen wurde. Möglicherweise war bei der angefochtenen Entscheidung ja nicht die fachliche Qualität der vorliegenden Gutachten ausschlaggebend, sondern das zu erreichende Ziel.
III.
Vor diesem Hintergrund ist antragsgemäß zu entscheiden.
Mathias Klose
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Sozialrecht